Ein Besuch in der JVA Lübeck
Wie stelle ich mir den Strafvollzug in einem Rechts- und Sozialstaat wie Deutschland vor? Dies war eine der Fragen, mit denen Herr Gordetzki und eine Gruppe engagierter Zwölftklässler in die JVA Lübeck gingen.
Die freiwillige Exkursion sollte den Schüler*innen einen Einblick in den Strafvollzug geben und ihnen einen anderen Blickwinkel auf das doch unzugängliche System eines Gefängnisses liefern.
Die Gruppe traf sich vor der größten JVA in Schleswig-Holstein, die sich durch einen Frauentrakt sowie einen Trakt für Langzeitgefangene auszeichnet.
Empfangen wurden die Schüler von zwei Justizvollzugsangestellten, welche sie, wie jeden Besucher, kontrollierten. So bekam man das erste Mal einen Eindruck von dem Stellenwert der Sicherheit in einem Gefängnis. Um weitere Abläufe innerhalb der JVA den Jugendlichen näher zu bringen, gab es im Anschluss eine kurze Theorieeinheit über den Aufbau des Gefängnisses, den Ablauf und die alltäglichen Hürden des Gefängnisalltags. Es wurden auch Themen aufgegriffen wie Arbeitsmöglichkeiten und Resozialisierung. In diesem Zusammenhang stellte man sich auch die Frage, ob eine Resozialisierung immer ein Weg in das alte Leben ist, da viele Inhaftierte aus fragilen Lebenslagen in das Gefängnis kommen und somit die JVA mit all ihren Möglichkeiten auch Chancen auf ein geregeltes Leben bieten kann.
Um sich ein eigenes Bild von dem eigentlichen Gelände machen zu können, ermöglichte die JVA den Jugendlichen einen Rundgang. Dieser verlief durch den Langzeitgefangenentrakt mit Innenhof sowie alten Zellen und Hochsicherheitszellen. Mit gemischten Gefühlen beschritt die Gruppe Wege, die ringsherum mit hohen Zäunen, Stacheldraht und Wänden gesichert waren, die keine Sicht zuließen. Zu hören, welche Pöbeleien hier alltäglich waren und mit welchen Extremsituationen man umgehen müsse, erzeugte ebenfalls unangenehme Gefühle. Auch der Trakt selber erinnerte an Szenen aus Kriminalfilmen, doch vieles war auch anders. Neben der schlichten, tannengrünen Bekleidung der Gefangenen, ohne knall orangefarbene Overalls wie aus Filmen, sahen die Jugendlichen auch fast heimische Gartenanlagen. In den Innenhofgärten gab es Tomaten und in den 8 m2 großen persönlich gestalteten Zellen der Gefangenen spürte man auch das sehr Menschliche, welches oft im Zuge der Vorstellung der Straftaten vergessen wird. In dem persönlichen Gespräch mit einem Inhaftierten wurde den Schüler*innen auch immer klarer, wie wichtig den Inhaftierten ein geregelter Tag mit Arbeit und Ritualen ist und wie entscheidend der soziale Kontakt zu den Familien oder anderen Inhaftierten ist. Doch es war für die meisten am prägendsten, einen zweiten Blickwinkel auf einen Täter zu haben: Einerseits den Hergang eines tatsächlich stattgefundenen Mordes zu hören und auf der anderen Seite mit einem reflektierten und sympathisch wirkenden Mann zu reden, der offen über seine Tat spricht und diese bereut. Dieser Kontrast veranlasste die Schüler*innen das Rechtssystem mit anderen Augen zu sehen, dass hinter jedem gerechtfertigten Urteil auch eine menschliche Geschichte steht und dass man jede Tat immer als Einzelfall betrachten muss.
Wir bedanken uns herzlich bei der JVA Lübeck, die uns diesen Einblick ermöglicht hat.
E. Kappel, 12A